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tikal

Unterdrückte Eindrücke - die Tempelstadt Tikal

Dienstag, den 24.02.2009 bis Mittwoch, den 25.02.2009

Mittags kommt der Bus, der uns nach Tikal bringen soll. Die letzten 15 Km der Strecke führen durch Urwald, dichtes Grün, mehrere Etagen  Vegetation, Schlingpflanzen so dicht, dass auch Tarzan hier nicht mit seiner Jane frei zwischen den Bäumen schwingen könnte ohne sich überall blaue Flecken zu holen. Nach spätestens drei Metern hört die Sicht auf, eine Welt die zum Überleben Kenntnisse erfordert, die uns vollständig abgehen. Dann öffnet sich eine weite Lichtung mir kurzem Rasen, der Parkplatz der Anlage von Tikal. Das gesamte Gelände erstreckt sich über viele Quadratkilometer, Wanderungen von über 50 KM sind möglich.

Wir übernachten zweimal im Jaguar Inn, 60 US$ pro Nacht und das ist hier noch günstig! Etwas ärgerlich ist das Zimmer, eine herunter gekommene Bruchbude, die besseren Räume sind schon alle vergeben, Pech für uns, am nächsten Tag bekommen wir ein schönes Zimmer in der Bungalowanlage.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir den Hauptplatz des antiken Tikals. Bedrohlich riesige Tempelpyramiden an der Ost- und Westseite, südlich und nördlich jeweils eine Akropolis mit Kulträumen, alles mit Mauern von mehr 1.5 Metern Dicke, auch im Inneren, mit spitzgiebeligen Räumen die kleinen länglichen Kammern entsprechen. Die Ruinen  sind teilweise restauriert, an anderen Teilen werden eine oder zwei Gebäudeseiten mit der Überwucherung der letzte 1000 Jahre belassen. Riesige Bäume haben ihr ausuferndes Wurzelwerk in die Steinfugen getrieben, jeder Grashalm sprengt durch seine Wurzelkraft kontinuierlich etwas von der alten Substanz weg. Während der Nutzungszeit der Gebäude wurden diese ständig verputzt und in kräftigen Farben angemalt, bei den riesigen Flächen muss das eine Dauerbaustelle gewesen sein. Überall stehen vor den Gebäuden flache Opfersteine, meist rund aus zwei übereinander geschichteten steinernen Scheiben von jeweils 50 cm Höhe bestehend und Dahinter eine Stele mit Inschriften, die diesen Opferplatz einem bestimmten verstorbenen Herrscher zuweist.

 Diesen Platz suchen wir auch am nächsten Morgen auf, kurz nach der Dämmerung brechen wir auf. Auf dem Weg begegnet uns eine Horde affenähnlicher Tiere, allerdings mit länglicheren Schnauzen und einer Gesichtszeichnung ähnlich dem Dachs. Sie sind recht zutraulich, spielen auf Sichthöhe miteinander an den Stämmen und Astgabeln, am Boden laufen in allen Regenbogenfarben schimmernde Vögel in einer Größe zwischen Rebhuhn und Pfau umher, sie werden hier  Pavo Ocelado genannt, danach hören wir schon von weitem   lautes Brüllen aus vielen Kehlen, die Brüllaffen veranstalten ihr Morgenkonzert, vielstimmig, begleitet von wippenden Baumgipfeln, unsere lauten und behänden Verwandten halten sich weit vom Boden entfernt in den obersten Etagen des Waldes auf. Wir müssen schon sehr genau hinschauen um einige Tiere sehen zu können. 

Die Götter sind  noch weiter oben, 70 bis 130 Meter über der Ebene des Platzes, am Ende der steilen, breiten Treppe; wer auf dieser stolpert dürfte unten nur mit Glück lebend ankommen. Fresken und Halbreliefs haben die einzelnen Stufen der Tempel „geziert", sie sind fast alle verwittert. Im Museum und in Handbüchern kann man eine Auswahl erhaltener oder rekonstruierter Darstellungen studieren: bedrohliche Gestalten, die allesamt finster dreinschauen und entweder schmerzhafte Opferrituale an sich und anderen durchführen oder  solche entgegennehmen. Szenen des täglichen Lebens, andere Ausdrücke als des Drohens und Grimmes finden sich nirgend wo. Eine bekannte Abbildung zeigt einen Mayakönig der seinen Untergebenen Macht demonstriert in dem er seinen Penis mit der Speerspitze durchbohrt und mit dem spritzenden Blut  sein Volk von der Höhe seines Tempels aus besprüht. Eine Zeremonie, die schon wegen der erheblichen Entfernung zu den Zuschauern zur Fälschung einlädt, schon alleine der Blutverlust, der  notwendig wäre um auf die Entfernung hin zu  beeindrucken, würde zum Kollaps führen; da wird der Herrscher wohl ein präpariertes Gefäß angestochen und zusammengedrückt haben, tut weniger weh und schindet viel mehr Eindruck.

Ein anderes Opfer erscheint da schon plausibler: Um die Götter wohl zu stimmen, wurden auch die Kinder des Königs geopfert, recht praktisch um die Thronfolge auf den Wunschkandidaten zu beschränken, oder der Königin wurde die Zunge mit einem Obsidian-Konus durchbohrt und damit ihr Opferblut aus diesem wichtigen Organ recht lange fließe ersetzte der Priester den Konus durch ein Seil, auch eine Methode um unerwünschte Worte ungesagt zu lassen. Und da die Herrschenden dieser Erde sich überall auf das Täuschen, Unterdrücken und die Show verstanden, kann ich bei so vielen praktischen „Nebenwirkungen" nicht an den reinen Zufall und die strikte Religiosität als einziges Motiv für diese Handlungen glauben.

Bei aller Bewunderung der Baukunst, den mathematischen Kenntnissen und der Astronomie, der Präzision ihres Kalenders bleibt für mich in diesem Ensemble eine Aura des Bösen, Brutalen und Gewalttätigen. So viel Buntheit, Kunst, Infrastruktur ohne jegliche Anmut, bar jeder Freude zu sehen ist gruselig. Eine Götterwelt wird hier inszeniert, die Drohung zum Gegenstand hat und keinerlei Möglichkeiten anbietet sich mit den Göttern zu identifizieren. Da sind mir die griechischen Götter mit all ihren Liederlichkeiten, fröhlichen Verbrechen, sinnestollen Kriegen und hingabevollen Liebesgeschichten doch sehr viel lieber, ich werde ihnen einen Altar spenden müssen.

Die herrschende Mayaschicht war denn auch nur sehr dünn. Jede Form des Wissens wurde von ihnen monopolisiert, dagegen ist die katholische Kirche schon eine demokratische Massenbewegung! Die Tempelstädte konnten nach dem Tod oder dem Rückzug der herrschenden Kaste auch nicht weiter genutzt werden, denn nutzbare Räume für bäuerliches Leben sind in diese Komplexen fast nicht zu finden.

Jenseits solcher Empfindungen und Gedanken bleibt aber das Staunen über diese großartigen Bauwerke, die durch das Ausmaß ihrer Erosion auch die Macht der Natur des Dschungels widerspiegeln.

Auf den Tempel IV führt eine steile hölzerne Treppe, eher schon eine Leiter, hinauf auf eine Höhe von ca. 80 Metern, mit Blick über die Dschungelwelt, die jetzt gegen 11:00h noch immer diesig verhangen ist. Immer öfter heben sich die Nebelbänke, Vögel und Affen werden sichtbar, die Spitzen der andern Tempel des Bezirkes erheben sich über den Bäumen. Die meisten Besucher von Tikal bleiben am Fuß dieser Pyramide, zu abschreckend ist der steile Aufstieg, aber sie Sicht ist großartig besonders nachdem wir über längere Zeit die Fernsicht vermisst haben.

Wir treffen hier auf eine Schweizerin, die für die UNO in Chiapas  als Beobachterin für Menschenrechte tätig ist, jeweils drei Monate arbeitet und 4 Monate reist. Sie erzählt, dass die Mayas in „ihrem" Dorf noch von der sogenannten Zivilisation weitgehend abgeschnitten sind und von ihrer Substitutionswirtschaft leben mit drei Maisernten im Jahr. Der Staat und die örtliche Polizei bedrängen sie, sie wollen ihr Land und da sie locker den Zappatistas zugeordnet werden, sind sie politisch unerwünscht. Zudem sind die formalen Eigentumsrechte mangels einer entsprechenden schriftlichen Tradition nicht juristisch eindeutig. Wenn „nur" die Polizei kommt und einige Männer festnehmen will,  wird diese häufig mit Knüppeln vertrieben, bei der Armee sieht das schon anders aus. Zudem wird in der Region demnächst ein kanadisches Unternehmen mit dem Goldabbau beginnen, ohne Umweltauflagen, was gleichbedeutend mit Quecksilber und Arsenvergiftung für die gesamte Region, ohne das die Bauern das Geld oder die Verbindungen hätten, die sie zu Ausweichen bräuchten. Und Entschädigung oder finanzierte Umsiedlung gibt es nicht. An der Rechtlosigkeit der Maya Unterschicht hat sich in den letzten 1000 Jahren zumindest in diesem Landstrich wenig geändert. Zufrieden leben konnte dieses ländliche Volk nur solange, wie sie weit genug von den Begehrlichkeiten der Mächtigen entfernt waren. Jetzt werden dort in entlegenen Landstrichen Fabriken errichtet, in denen Frauen unter 25 Jahren Anstellung finden. Und ihre Dankbarkeit für den Hungerlohn müssen sie nicht nur Fleiß sondern  bei Bedarf auch mit Sex bezahlen. Dass in einem solchen Milieu das menschliche Leben nicht viel gilt und sowohl Kriminalität als auch bewaffneter politischer Widerstand gedeihen kann ist direkt  einsichtig.

 Solche Dinge erfahren wir, während wir Vögel in den Bäumen bewundern und die fast unwirkliche Schönheit der Gipfelregion des Urwaldes erleben, der sich seines Nebels entledigt. Einige Tempelspitzen sind zu erkenne, ansonsten kein Hinweis auf Zivilisation, der leicht hügelige Urwald mit seinen graunebeligen Senken und kräftig grünen Gipfeln bedeckt das gesamte Gesichtsfeld. Tukane segeln durch die Luft, der schwarz- gelbe Tukan Collarejo besiedelt eine hohe Baumkrone in der Nähe. Einer von  Ihnen scheint zu balzen, gackernd neigt er sich nach vorne bis er fast vom Zweig fällt, richtet sich mit einem Kreischer wieder auf und schaut sich  um bevor er diese Übung widerholt. Etwas weiter weg besetzten mehrere gelbe Tucan Real einen ander Wipfel fliegen als gelber Schimmer quer über den Hauptplatz der Tempelstadt.

Nachmittags sind wir nach 20KM Marsch wieder in der Lodge, ich schreibe  ein wenig, Helga besucht das Museum in dem ein Modell der Anlage, wie sie in antiker Zeit ausgesehen haben mag zu besichtigen ist.