DIE BIBLIOTHEK VON ALEXANDRIA
Autorin Helga Langer
Die Idee einer "Bibliotheca Universalis" hat überlebt und wurde neu geschaffen.
Die Bibliothek von Alexandria, in Ägypten spricht man von der Pyramide unseres Jahrtausends, symbolisiert einzigartig die Zeit in ihrer Gesamtheit, sie verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Alexandria, verwoben in die Geschichte des Mittelmeerraums, besaß schon in der Antike eine Sammlung der bedeutendsten Schriften. Die Bibliothek in dieser geschichtsträchtigen Stadt am Mittelmeer wurde von Ptolemäus I gegründet. Als wohl größte und umfangreichste Bibliothek ihrer Zeit erhob sie den Anspruch, "alles Wissen dieser Welt" zu sammeln. Hier wurden die Schriftrollen zum ersten Mal nicht nur systematisch geordnet sondern auch katalogisiert. Eine verheerende Feuersbrunst im Jahre 48/47 v. Chr. vernichtete diese legendäre Bibliothek der Antike, geblieben ist jedoch mehr als ein Mythos, geblieben ist eine Vision, eine inspirierende Schöpfung des menschlichen Geistes die das Fundament der neuen Bibliothek von Alexandria bildet. Am Kreuzungspunkt dreier Kontinente: Afrika, Asien und Europa entstand ein Monument, das die Vergangenheit ehrt, die Gegenwart feiert, die Zukunft einlädt.
Die neue Bibliothek von Alexandria ist ein spektakuläres Gebäude, ein globales, lebendiges Zentrum für intellektuelle Dialoge und Debatten. Basis für diese faszinierende Architektur war schon beim Bau der Dialog, das gute Zusammenwirken von Menschen aus der ganzen Welt. Planer, Generalunternehmer, Lieferanten und Handwerker kamen aus aller Herren Länder und Kulturen, somit war die gesamte Abwicklung und Koordination eine interessante Herausforderung, eine nicht einfache Aufgabe.
SNøHETTA, eine norwegische Architektengruppe, überzeugte mit ihrem Entwurf bei einem internationalen Wettbewerb 1989. SNøHETTA ist eine multinationale Gruppe um den steirischen Architekten Christoph Kapeller. Die internationale Jury entschied sich für das Projekt von SNøHETTA aufgrund dessen einzigartiger Symbolkraft und der überzeugenden Funktionalität. Das fertige Bauwerk übertrifft jedoch die kühnsten Vorstellungen der Auftraggeber.
Inmitten der Hochhäuser an der Uferstrasse von Alexandria liegt die neue Bibliothek, das niedrigste Bauwerk der Corniche. Die Form ist ein gleichermaßen simpel wie komplex wirkender Kreis eines Zylinders. Eine einfache, in die Erde gekippte Schale aus Stein und Metall am Mittelmeer, die mannigfache Assoziationen zulässt: wie Sonne, Sphäre, Zeit, Kontinuität, Unendlichkeit.
Es ist das Dach, das die Blicke von beiden Enden der kilometerlangen Uferstraße anzieht. Die Dachscheibe der Bibliothek hat einen beachtlichen Durchmesser von 160 m. Von der Uferstraße aus betrachtet, wird das Metalldach als dominante Fassade wahrgenommen. Die besondere Strukturierung gibt dem Dach ein plastische Gestalt. Die Plastizität wird durch 120 geformte Module in der Größe von je ca. 9,0 x 14,0 m erreicht. Über die gesamte Oberfläche zieht sich ein Netz von vertikalen und horizontalen Regenrinnen. Ein künstliches Wasserbecken, das die Dachfassade des Gebäudes umschließt, nimmt das Regenwasser auf.
Die einzelnen Dachelemente erinnern an die Tragflächen von Flugzeugen. Auffällig sind die Diagonalen, die alle genau nach Norden zeigen. Jedes einzelne Element verbirgt in der Diagonale eine dreieckige Öffnung. Die Öffnungen in der Diagonale ergeben ein regelmäßiges Gefüge von vertikalen Oberlichten. Sie versorgen die Bibliothek mit Licht ohne direkte Sonneneinstrahlung. Durch diese spezielle Dachkonstruktion wird das natürliche Licht doppelt reflektiert und gestreut in jeden Winkel des riesengroßen Lesesaals gebracht. Die 120 Öffnungen im Dach verbinden Innenwelt und Außenwelt. Der vermutlich größte Lesesaal der Welt hat durch dieses Dach nicht nur ein gleichmäßiges Naturlicht, sondern auch eine Aussicht über die Weite des Meeres.
Die Säulen im Inneren gliedern den gigantischen Raum und enden an den Kreuzungen der Dachelemente. Hier befinden sich auch blaue und grüne Lichter, die sich ausgleichend auf die jeweilige Lichtsituation einstellen. Die Raumhöhe ist von der Neigung des Daches bestimmt und variiert von 3 Meter an der tiefsten Stelle bis 17 Meter. Der Lesesaal, ein großer offener Raum, gegliedert in sieben gestufte Hauptebenen, hat eine Nettofläche von 18000 m2, ein Volumen von 172000 m3 und bietet mehr als 2000 Leseplätze, die teilweise mit Computern ausgestattet sind. Es ist erstaunlich, dass es bei diesen Ausmaßen geglückt ist, für jeden Leser einen intimen Bereich, eine Studierstube zu schaffen, mit einem Ausblick über das Meer.
Die Bibliothek von Alexandria ist vermutlich auch die größte zeitgenössische Steinskulptur. Die gekrümmte Außenwand ist mit rund 3000 handbearbeiteten dunkelgrauen Granitplatten verkleidet, die an ihrer höchsten Stelle 32 Meter in den Himmel ragt. Die Platten aus Black Zimbawe Granit wurden rau gespalten und zeigen eine Unzahl von Schriftzeichen und Symbolen aller Weltalphabete, sowie musikalische und mathematische Notationen. Das Ergebnis ist überwältigend, dem Auge bietet sich ein unerschöpfliches Reservoir von immer wieder von Neuem zu entdeckender Bildzeichen.
Durch die Bibliothek erlangte Alexandria Weltruhm und wurde zu einem kulturellen und geistigen Zentrum an der keine andere Stadt herankam. Die neue Bibliothek von Alexandria ist ein funktionales Kunstwerk, ein großer Raum - Raum für Bücher, neue Ideen und Verbindungen. Der Grundstein ist gelegt, heute sind es zwar erst 250000 Bücher, doch 2020 sollen es 8 Millionen sein. Hier präsentiert sich eine moderne und verbindende arabische Welt, da haben natürlich auch Frauen Zugang zu der Bibliothek - Frauen sind aber auch in der Organisation beschäftigt: als technische Mitarbeiterinnen, Übersetzerinnen, Führerinnen und Pressesprecherinnen. Die Form der Bibliothek - eine glitzernde Scheibe am Mittelmeer weckt die Assoziation mit der aufgehenden Sonne und soll daran erinnern, dass Wissen nie aufhört.
Die neue Bibliothek von Alexandria ist eine Verbindung zur Antike mit Blick auf die Zukunft