Märkte, Landschaften, Künstler : San Cristobal
Donnerstag, den 05.03.2009 bis Montag, den 09.03.2009
Nächtlicher Halbschlaf, es geht durch die Ebene, in den Dörfern ruckelt der Bus über die Topes. Ein Knabe auf den Nachbarsitzen hat offensichtlich Mukoviszidose, er keucht und versucht abzuhusten sein Vater kümmert sich gekonnt um ihn, dann schläft der Bub auch ein und der Bus wird ruhig, nachdem auch der abendliche Hollywoodfilm abgespult wurde. Die Klimaanlage erzeugt herbstliche Kühle, die Knie und Füße werden kalt, eine Jacke als Decke hilft, bei der nächsten Fahrt werden wir einen Schlafsack bereit legen. Ab Palenque wird es kurvenreich, es geht nach Süden hoch ins Bergland, die Fahrt dauert noch 6 Stunden und am Morgen sind wir in San Cristobal auf 2100 Höhe angekommen. Nach dem langen Sitzen ist der Marsch mit den Rucksäcken quer durch die Stadt eine Erholung. Unser Quartier im Hotel und Museum „Na Bolom“ hat eine gediegene Atmosphäre, es war das Anwesen des dänischen Archäologen Blom und ist heute ein Zentrum für Mayaforschung, das von einem Verein betrieben wird, der den Gewinn aus dem Hotelbetrieb und den Touren für Projekte verwendet. Nach Na Bolom kommen viele interessante Menschen, die hier einige Tage wohnen. Meist sind dies Individualreisende mit einem großzügigem Zeitrahmen, die ihre Reisen je nach Erlebten und der Neugier flexibel gestalten, Menschen, die sich an einem individuellem Ambiente erfreuen und durch ihre Persönlichkeit auch dazu beitragen. Andere kommen als Reisegruppen, die jedoch nicht unangenehm auffallen, und deren Museumsbesuch vom Reiseveranstalter aus mit einem Dinner als Highlight verbunden wird.
Während des Tages arbeiten viele Hotelgäste mit ihren Laptops im Hof, so wie wir eben auch, und wir treffen sowohl hier als auch bei der langen abendlichen Tafel beim Kaminfeuer interessante Gesprächspartner. Eine junge Frau, so um die 30, arbeitet an ihrer archäologischen Dissertation, sie hat ein Stipendium, das es ihr ermöglicht hier sechs Monate zu leben und zu forschen. Ein anderer 75-jähriger Gast, Terrence Hill- er heißt tatsächlich so, hat aber mit dem Partner von Bud Spencer nichts tun - erzählt uns, dass er früher in der Werbung gearbeitet hat und schon drei Bücher veröffentlicht hat. Er schreibt diese Bücher gemeinsam mit seinem Freund und Ko-Autor. Sie lesen gemeinsam ein Buch, so zum Beispiel Moby Dick und teilen sich ihre Assoziationen dazu in Briefen mit. So wie wir Terry kennengelernt haben, sind dies sicher sehr spaßige Geschichten. Wir werden uns wohl ein Buch bei Amazon bestellen. Leider hat er keine eigen Website. Terry und seine Frau Melinda leben in New York und in Mexiko, sie schätzen es auch sehr mit Freunde Wohnungen zu tauschen und so überall auf der Welt zu Hause zu sein. Ihm macht seine Schreiberei Freude, wirtschaftlichen Erfolg verspricht er sich nicht davon. Lustig zu hören wie er seine eigene Egozentrik karikierend darstellt.
Wir treffen hier auch den schon recht bekannten amerikanische Autor Robert Taylor. Er sieht sehr gepflegt aus mit seinem vollen weißen Haar und dem lebhaften und relativ glattem Gesicht. Seine Motorik ist elastisch und locker ohne bemüht zu wirken. Nur an den Händen ist das Alter zu erkennen. Er schreibt Romane und Kurzgeschichten, über das Leben, wie er sagt. Robert ist mit seinem Freund, einem Maler und Künstler unterwegs, der faszinierende Mobile herstellt, früher war er als Bildhauer tätig. Beide lachen gerne, sind um die 70 Jahre alt und lebenslustig, interessiert, anteilnehmend und mit Witz unterwegs. Ihre Kommunikation von unterwegs aus erledigen sie mit Email und Skype, beides wird zunehmend die zentrale Kommunikationsform für die Reisenden, wobei die jungen Leute, meist Studenten, seltener auf diese Mittel zurückgreifen als die verrenteten Easy Rider.
Das Haus ist weitläufig, hat drei schöne Patios und einen großen interessanten Garten. Die Zimmer sind individuell mit schönem alten Möbeln und Fotos von den Mayas gestaltet. Jedes Zimmer hat einen offenen Kamin, in dem wir an jedem Abend das Feuer entzünden, nicht nur weil es schön aussieht , sondern auch wegen der nächtlichen Frische, die nach Sonnenuntergang für kühle Temperaturen um 10° Celsius sorgt . Gegen Morgen kommt dann auch noch der Frühnebel und es wird klamm, erst gegen 10:00h entwickelt die Sonne genügend Kraft um mit Wärme und klare Sicht die Sinne zu erfreuen. Wir bleiben 4 Nächte in San Cristobal und eigentlich möchten wir noch länger bleiben, denn hier fühlen wir uns in diesem spanisch -mexikanischem Ambiente, das versucht die Mayakultur mit einzubeziehen sehr wohl. Das Hotel liegt am Randes des historischen Kernes dieser schönen, lebendigen, bunten Stadt mit den zahlreichen Plätzen und Märkten. Es ist leicht, sich in der Stadt zurechtzufinden, denn alle Straßen laufen parallel für Fußgänger leicht für Autofahrer mühsam, da ein Gewirr von Einbahnstraßen die Orientierung erschwert. Die Kirchen sind unsere Wegweiser. Die Stadt ist geprägt von der Herrschaft der Spanier, die Kolonialhäuser zeigen zu den Straßen hin geschlossene Mauern, deren abweisender Charakter durch die bunten Farben und offenen Tore gemildert wird. Innen finden sich fast immer großzügige Innenhöfe, in denen Restaurants platziert sind. Von den mit Arkaden umsäumten Patios gehen die Gästezimmer der Pensionen und Hotels ab. Fast alle Anwesen wurden in Erdgeschossbauweise errichtet. Selten gibt es einen ersten Stock, die meisten Anwesen sind werden heute als Hotel und Restaurant genutzt. Die Kellner stehen vor den Eingängen und bemühen sich um Kunden, denn in dieser Jahreszeit gibt es nur wenige Touristen in der Stadt, zu Ostern soll es in San Cristobal hoch hergehen.
Das Stadtbild ist geprägt von der überwiegend indigenen Bevölkerung, die Menschen sind klein, viele Männer haben weiße Strohhüte auf, die traditionellen Sombreros sieht man nicht. Die Frauen sieht man eher in traditioneller bunt bestickter Kleidung. An den Blusen kann man ihre Herkunft erkennen, Stoffbahnen aus dunklem pelzähnlichem Gewebe werden um die Hüfte gebunden und mit breiten, teilweise bestickten Stoffbändern gegürtet. Auf dem Rücken oder vor der Brust schaukeln ihre Babys in bunten Tragetüchern. Schon mit 14 Jahren heiraten die Mädels, während die jungen Männer meist fünf Jahre älter sind. Durch landesweit durchgeführte Kampagnen zur Familienplanung ist es gelungen die Kinderzahl von zehn auf vier pro Familie zu reduzieren. Meist wird den Frauen bei der Endbindung ein fixer Kaiserschnitt, Sterilisation inklusive im Rahmen der Geburt angeboten. Rund um die Iglesia de Caridad findet ein weitläufiger Wochenmarkt statt, auf dem farbenfrohe Textilwaren angeboten werden. Viel Platz haben wir im Rucksack nicht frei, doch bei solcher Farbenpracht und schönen Handarbeiten, kann ich nicht wiederstehen.
Im Museum, das der Kirche angeschlossen ist, entdecken wir ein Schriftstück, das aufzeigt, wie der indigenen Bevölkerung der christliche Glauben beigebracht wurde. Freundlich und einladend präsentiert sich die Kirche, sie ist sowohl außen als auch innen hellblau und weiß gestrichen. Wie in allen anderen Kirchen gibt es auch hier die Heiligen als lebensgroße Puppen, die bei Prozessionen auf Gestellen mitgeführt werden können. Auf und neben dem Altar aufgebaut sehen sie aus wie für ein lebensgroßes Puppenspiel arrangiert. Auf dem kuppelförmigen Dach winden sich aus allen 4 Himmelsrichtungen Schlangen zu Spitze hin, die von einem Erdball-oder Apfel? - samt einem Kreuz gekrönt wird. Es ist schon verwunderlich, dass hier die Schlange der Versuchung sogar über unseren Köpfen und mehr noch über dem Altar angeordnet wird.
Abends ist es unter der Woche recht ruhig in der Stadt, die vielen Restaurants und Läden finden kaum Kunden, die Kapazitäten sind für die Spitzenzeiten zu Ostern und im Sommer ausgelegt, wenn die Mexikaner selber die hoch gelegen Stadt als Ort der Erholung vor der Hitze des Tieflandes aufsuchen; unten soll es sommerlich schwüle Monate mit bis zu 50°C geben!
Doch jetzt ist es ruhig, zumal der ausländische Tourismus unter der Weltwirtschaftskrise empfindlich leidet; insbesondere die US- Amerikaner und Kanadier kommen seltener als zuvor.
Im Zentrum der Stadt, vor der Kathedrale liegt ein gepflegter Platz, nachts mit beleuchteten Bäumen, Musik aus einem Pavillon, Kaffes und Bars drumherum, ein spanisches Ambiente. Eine Gruppe junger Mädchen spielt und singt Volkslieder, mit viel Freude, allerdings mit zum verzweifeln wenig Gespür für Rhythmus, Takt und Harmonie
Zum Wochenende wird es dann lebhafter, in der Fußgängerzone herrscht lebhaftes Flanieren, ein Theater hat offen, dort wird ein Ballett-Theater mit Schlagzeug beherrschter Musik aufgeführt. Rasant, mit phantastischen Kostümen, wird der Kampf zwischen den Maya-Städten Palenke und Tonina im 8. Jh. n.C. dargestellt. Eine Geschichte in der der Machtkampf seinen Höhepunkt in der Entführung des Palenke- Königs Kann Joy Chitan durch die Soldaten der Herrscherwitwe Kawil aus Tonina findet.
Dialoge finden fast nicht statt, es wird eine magisch mystische Stimmung erzielt durch eine schnelle Abfolge von Tierszenen, dargestellt von Schausielern in Kostümen und Kampfszenen, die in duellartige Balletdarstellungen ausmünden in denen mit Speeren, Blasrohren und Dolchen gefochten wird. Schlagzeugmusik und Flöte, schrill, heftig mit peitschenden Rhythmen treiben die Schauspieler durch die turbulenten Szenen in die der Zuschauerraum mit eingebunden wird. Grimmig wie die Mayafresken sind die seltenen Dialoge, gebrüllt wird mit heiseren Stimmen, je bedeutungsvoller der Darsteller um so lauter.
Nur eine Szene hebt sich ab in der die Geliebte des Königs in sehr zarter und ästhetischer Form ihre Liebe zum Ausdruck bringt und seine Zärtlichkeit hingebungsvoll annimmt.
Das Happy- End der Story besteht darin, dass der König sich nach 10 Jahren Gefangenschaft befreien kann und, wieder zuhause in Palenke, den Thron für seinen Nachfolger räumt in dem er sich selber den Göttern zum Opfer bringt, mit der Gewissheit zum Leitstern der Mayas am Himmel über Mittelamerika zu werden. Historisch gesehen muss er zu diesem Zeitpunkt schon über 80 Jahre gewesen sein, ein guter Zeitpunkt um sich verdienstvoll in himmlische Unsterblichkeit zu verabschieden.
Fast 90 Minuten dauert das Spektakel und davon war keine Minute langweilig.
An zwei Tagen fahren wir mit einem Motorroller über Land. Die Dinger sind hier spottbillig, eine neue 125ccm Maschine koste ca. 800€. Sie werden aus China importiert und sind mit dem Variomatik Getriebe ausgestattet, das die holländischen DAF-Werke in den 60.-ziger Jahren entwickelt hatten. Wir fahren zu zwei touristisch empfohlenen Zielen, jeweils dem Markt und der Kirche von Zinacatan und Chamula.
Ganz nett, aber für den Besuch der Kirchen soll man Eintritt bezahlen, die Erwachsenen schauen grimmig und unfreundlich aus und die Gören betteln. Ein kurzer Blick in die Kirchen zeigt, dass wir an dieser Stelle nicht viel versäumen. Den Eintritt soll man auch nicht bei der Kirche sonder im entfernt gelegenen Touristenbüro bezahlen, offensichtlich eher ein Abschreckungsprogramm. Bei uns wirkt es, denn in einer solchen Athmosphäre fühlen wir uns nicht wohl. Der Markt ist lebhaft und dank der Digitalkamera ist es möglich die bunten Marktszenen einzufangen. Obstberge, deren Früchte poliert werden, Textilien, Spielzeug, Medikamente, Haushaltsartikel, ein Markt auf dem die einheimische Bevölkerung einkauft. Uns interessieren allerdings mehr die Menschen, wie sie miteinander umgehen, handeln und sprechen. Auch hier nur wenig lächeln, wenig erkennbare Freundlichkeit, viel Zurückhaltung, ernsthafte Minen, in den Gesichtern älterer Menschen sind nur wenig Lachfalten erkennbar. Nur wenn Kinder Faxen machen und wir dabei die Kinder etwas imitieren, auf sie eingehen und die Mütter die Anerkennung für ihren Nachwuchs erkennen, kommt ein Lächeln und etwas Freude in Mimik. Auf dem Lande halten wir bei einer kleinen Kapelle, von deren Vorplatz der Besucher weit ins Tal schauen kann. Dann kommt sofort eine missmutig ausschauende Frau mit einem Baby auf dem Rücken an und will für die Besichtigung der Kapelle und das Parken des Rollers 50 Peseten einkassieren. Das ist allerdings so unverschämt, dass sie gar nichts bekommt.
Eine andere Tour führt uns in die Berge. Neue Straßen werden allenthalben gebaut, die Anbindung der entlegenen Dörfer ist strategisch notwendig, denn hier sind die Zapatisten noch sehr einflussreich, Landespolizei und Armee haben es hier schwer.
Die Dörfer in unmittelbarer Stadtnähe sind ärmlich, wenig gepflegt, sie haben eher Slumcharakter. Weiter weg gibt es nicht mehr Geld, Bauart und Ausstattung sind vergleichbar, aber der Pflegezustand zeigt, dass diese Bewohner sich mit ihrem Dorf, ihrem Zuhause identifizieren. Bemalte Dachfirste, bunte Wände und Türen, saubere Grundstücke, Höfe in denen gelebt und gearbeitet wird, auch Neubauten sind im Entstehen. Die Felde sind klein, aber gepflegt, die bergige Landschaft lässt keinen großflächigen Anbau zu, hier können die indigenen Dorfbewohner leben und arbeiten ohne den Verwertungsinteressen kapitalkräftiger Gesellschaften im Wege zu sein.
Der Holzabbau ist als Erwerbszweig weit verbreitet, in allen Dörfern finden sich säuberlich aufgeschichtete Kaminholzstapel. Dieser Erwerbszweig ist an sich verboten da hierdurch erhebliche ökologische Schäden verursacht werden, aber die Einkommensquellen sind hier mager und das Holz wird von allen zum Heizen und Kochen benötigt, also wird der wilde Holzeischlag geduldet.
Die Landschaft erinnert an die Alpen, Viehwirtschaft, Feldern an den Hängen, kleine Dörfer und verstreute Einzelansiedelungen bestimmen das Bild. Viele neue Straßen sind noch nicht einmal auf den Karten vermerkt, die Orientierung wir ohne GSP schwierig und so kehren wir nach 80 KM wieder um.