Seeräuber, Spanier, Öl und Studenten : Campeche
Die Fahrt im erster Klasse Bus nach Campeche wird etwas mühsam: der Bus ist mal wieder zu kalt, die ständige Zwangsberieselung mit lästigen Hollywoodfilmen nervt, dann hat das Automatikgetriebe noch einen Defekt und der Bus kriecht mit 30 Km/h über die Landstraße. An der Landesgrenze zum Bundesstaat Campeche wird der Bus von der Polizei gestoppt und das Gepäck der Reisenden durchsucht, bevor wir weiterfahren dürfen. Alles sehr ruhig und unaufgeregt, es scheint eher darum zu gehen eine Kontrollroutine aufrecht zu erhalten oder zu etablieren, als dass ein konkreter Fahndungsauftrag erfüllt werden soll.
Wir kommen erst am Abend in Campeche an, finden in einem schönen und bequemen Hotel in der Altstadt Quartier, am Abend gehen wir mit zwei englischen Ehepaaren zusammen essen. Una und Gerald sind auf Weltreise, beide zwischen 50 und 60 Jahre, sie haben frühzeitig die Welt der Werkstätigen verlassen, sich zwei Tickets rund um die Welt gekauft, denn sie möchten reisen, solange sie noch körperlich fit sind. Nun wie die beiden aussehen, sind sie dies sicherlich noch bis 80, denn das Reisen verlangt körperliche Fitness und durch Reisen trainiert man dies täglich. Mexiko ist eine der letzten Station bevor sie wieder nach Großbritannien fliegen, dort wo sie Gelegenheitsarbeiten annehmen wollen, eventuell die Erfahrungen ihrer Reisen in einem Buch veröffentlichen wollen.
Die Hotellounge im schönen Patio des ehemaligen Kolonialhauses ist Treffpunkt der Schreibenden, hier haben wir Una und auch Inca kennengelernt, die ihren Vortrag über die Zucht von Tintenfische vorbereitet. Mit Inca und ihrem Mann, auch ein Biologe, werden wir uns dann in Merida treffen. Die Vermischung von Arbeit mit Reisen, unterwegs sein, den Tag zu erleben, diese Aufhebung der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit finden wir unterwegs immer öfter an, hier eröffnet das Internet Möglichkeiten das Leben auch jenseits der früheren beruflichen Verpflichtungen zu gestalten. In wieweit diese Freiheiten allerdings in Zukunft zur Pflicht der dauernden Präsenz werden und so wieder zur Zwanghaftigkeit werden bleibt ab zu warten; für unsere Generation scheint das Internet jedoch überwiegend Vorteile zu bieten, für die nachfolgende Generation erahne ich eher einen qualitativen Umschlag in die Gefangenschaft virtueller Ketten. Die Hotellounge des Hotels America ist ein guter Arbeitsplatz mit WLAN.
Wir wollen von dieser schönen Stadt Campeche mehr entdecken, deswegen verlängern wir unseren Aufenthalt hier um eine Nacht und müssen dafür in das Monkey Hostel am Hauptplatz umziehen. Campeche, die gleichnamige Hauptstadt des Bundesstaates, war für die Spanier lange Zeit Haupthafen der Halbinsel Yukatan. Die für die Verschiffung nach Europa lagernden Güter (Silber, Kakao, Jade,…..) lockten englische, französische und holländische Piraten an. Die Stadt wurde mehrfach eingenommen und geplündert, war sogar einige Zeit Stützpunkt der Piraten. Die Antwort der spanischen Krone war eine gewaltige Festungsanlage mit Verteidigungsbastionen an den 7 Eckpunkten der 2,5 km langen, 3 Meter dicken und 8 Meter hohen Stadtmauer. Die einzigen Zugänge zur Stadt waren 4 schwer gesicherte Stadttore, Campeche wurde damit uneinnehmbar. Einen Hafen im heutigen Sinne gab es nicht, die Schiffe ankerten auf Reede, das ausgedehnte Flachwassergebiet gibt hinreichend Schutz, solange nicht gerade ein Hurrikan wütet. Angelandet wurde mit Beibooten. Außerhalb der Stadt und oberhalb des Hauptankerplatzes wurde auf einem Hügel die Festung Fuerte San Miguel errichtet, dort ist jetzt ein sehenswertes archäologisches Museum mit sehr schönen Maya Keramiken und Masken.
Die Suche nach einem Hafen, war das erste Ziel unserer Entdeckungstour durch die Stadt, deren Reichtum heute aus den Erdölförderungen vor der Küste stammt. Auf dem Streifen zwischen Altstadt und Meer , dem früheren Schussfeld der Stadtbefestigungsanlagen, zeigt Campeche den wirtschaftlichen Erfolg des 20. Jahrhundert: mit monumentaler, fast autistischer Architektur, deren Gebäude nur für sich dastehen, keine lebendige Einbindung in die angrenzenden urbanen Strukturen suchen, sterile Hotels und Verwaltungsgebäude, zudem trennt eine breite Autobahn die Stadt von dem asphaltierten Flanierstreifen am Meer. Die Stadtmauer wurde zu einem großen Teil geschliffen, die klare Trennung zwischen Vergangenheit und Neuzeit wird nur durch den Baustil gegeben. Einen großen Handelshafen gab und gibt es hier nicht. Am Ende eines 300 Meter langen Dammes der durch das Flachwasser führt, wurde in eine kleine Marina gebaut, mit einer maximalen Wassertiefe von 4 Metern in der lediglich 2 Segelboote die schon lange nicht gesegelt wurden und einige Motorboote liegen, eine großzügig geplante Anlage. Ein schönes leerstehendes Hafenlokal, Palmen, die Anlage ist für eine Kapazität von ca 50 Schiffen ausgelegt, allerdings ist der Wellenbrecher zur See hin recht niedrig. Das Ambiente ist verfallen, ungepflegt, die Planung war hier offensichtlich optimistischer als es die Realität einlösen konnte.
Auf dem Weg zum Fort Museum stoppen wir ein Taxi, die Neustadt ist doch ziemlich groß. Die Aussicht vom Fort ist großartig, sowohl zur See als auch zum Land. Die Ausstellungsstücke zeigen, dass die Mayas großartige Töpfer waren deren Tier und Vogelmotive beeindrucken und sogar den schüchternen Anflug von Schönheit haben. Zurück in die Stadt stoppen wir einen Collectiv Bus, die Fahrgäste sind hauptsächlich Studenten, deren Studienrichtung durch ihre unterschiedlich farbigen Hemden zu erkennen ist.
Die Studenten prägen sowohl in der Innenstadt als auch hier außerhalb der alten Stadtmauer an der sich viele unterschiedliche Universitätsinstitute und Fakultäten befinden das Stadtbild. Wir steigen beim Markt aus und gehen durch die engen Gänge der mit Textilien, Lebensmitteln und Allerlei vollgestopften Markthalle, frische Hühner, Fische neben eleganten Kleidern. Es gibt auch ein Maschine die Tortilla macht, der Teig wird zwischen Walzen gepresst, dann ausgestochen, auf einem Förderband in und aus dem Ofen gebracht, sodann gleich warm kiloweise verkauft. Auch wir warten in der Schlange und kaufen frische Tortillas, zu denen wir dann beim nächsten Stand einen Shrimps-Cocktail erstehen, dafür greift die Verkäuferin mit bloßer Hand in das Glas, nun ja, nun sind wir schon einige Zeit in Mexiko und haben schon mit den hiesigen Bakterienstämmen Kontakt gehabt. Das Essen ist frisch und schmeckt und gibt Energie für die weiteren Erkundungen in der Altstadt.
Campeche wurde von der UNESCO als Weltkulturerbe aufgenommen, alle Häuser sind restauriert, in Pastellfarben unterschiedlich gestrichen. Alle Straßen sind auch hier im Schachbrettraster angelegt und nummeriert. Wie in San Cristobal sind die Gehsteige sehr erhöht, sodass die Fußgänger auch bei Regenzeit nicht im Straßenfluss waten müssen. Die Straßenfront der Häuser ist farbig aber einheitlich verschlossen, ganz selten gewährt eines der großen vergitterten Fenster Einblick in die Privatsphäre. Als wir unsere Nasen in das geöffnete Fenster einer alten Druckerei stecken, lädt uns der Inhaber zu einer Besichtigung seiner Druckerei ein, ganz stolz zeigt er uns die alten Heidelberg Druckmaschinen beide Baujahr 1964. Wir sehen wie Setzer aus Setzkasten Blei-Lettern suchen und zu Texten zueinander fügen. Die Papierschneidemaschine stammt aus dem Jahr 1901 und ist gepflegt und scharf wie am ersten Tag. Zeitungen werden hier nicht mehr gedruckt, die alte Rotationsmaschine steht still und rostet mit ihrem vielen Tonnen Eisengewicht vor sich hin, als eine Ablage für Arbeitskleidung und Werkzeug. Hergestellt werden individuelle Formulare und die Umschläge der Skripten der Universität, Visitenkarten, Kalender usw.
Vor dem Theater wird ein roter Teppich ausgerollt, am Abend soll hier eine Mode-Gala stattfinden bei der auch die Schönheitskönigin gekürt wird. Junge hübsche Mädchen und Burschen aus dem Ballett nützen den Rahmen um zu fotografieren, sie erzählen uns, welche Show am Abend für geladene Gäste abgehen soll und stellen sich auch sofort in Pose um sich mit Peter fotografieren zu lassen. Nur zu dem Abendprogramm werden wir nicht zugelassen, obwohl Peter mit seinem neuen weißen Panamahut und ich mit meinem neuen roten Rock ein sehr elegantes Paar sind.
Also keine Fetzen auf Gerippen sondern Nahrung für unsere Rippen, in einem gemütlichen Restaurant bekommen wir gebratene Leber und Huhn Mexicana und das köstliche dunkle Bohemia Bier, das hier unsere Lieblingsmarke ist.
Die Innenstadt von Campeche ist sehenswert, allerdings zeigt sie sich dem Gast recht verschlossen. Nur rund um die zwei größeren Plätze bestimmen Geschäfte und Lokale das Straßenbild, ansonsten sind die Türen in den bunten Wänden verschlossen und die Fenster vergittert, wobei recht hübsche Schmiedeeisenarbeiten die Strenge des Anblickes mildern.
Die Stadt erscheint im Aufbruch zu sein, sie ist Hauptstadt des Bundesstaates, die Vororte sind weitläufig, eine rege Bautätigkeit allerorten, vieles macht einen unfertigen Eindruck. Die Planung, siehe Hafen, scheint manchmal vorauseilenden Charakter zu haben, an anderen Stellen zu fehlen, eine widersprüchliche Vielfalt, die den Charakter des zukünftigen Stadtbildes noch offen lässt; allerdings wird inzwischen mit der Altbausubstanz bewahrend umgegangen. Die Mayageschichte des Landes findet in der Architektur keinen Niederschlag, auch im Straßenbild ist die indigene Bevölkerung in der Minderzahl, die Physiognomien sind mehr spanisch geprägt. Das Stichwort „Maya“ ist denn auch eher ein Begriff der touristisch verwertet wird oder politisch benutzt wird um die Kämpfe um die Unabhängigkeit Mexikos von Spanien etc. ethnologisch zu hinterfüttern. Ansonsten sind sie in dieser Gegend ein nettes folkloristisches Hintergrundrauschen.
Das Hostel liegt direkt am Hauptplatz gegenüber der Kathedrale und das Dach ist für die Gäste als Terrasse nutzbar, zwei defekte Gartenstühle geben dem Ort sein luxuriöses Ambiente, doch der nächtliche Blick über das hell erleuchtete Stadtleben ist wunderschön, die Temperatur lau, so wie ein ideal schöner Sommerabend in Europa sein sollte.
In der Stadt ist es nachts recht laut. Jedes Auto, jede Stimme wird von den baumlosen Straßen weitergeleitet, der Schall samt seinem Echo weit und ungehindert fortgeleitet. Unter unserem Fenster befindet sich ein Laden, junge Leute unterhalten sich dort bis tief in die Nacht, ihre Worte kommen klar zu uns hoch. Wenn wir spanisch beherrschten hätten wir die gesamte Konversation verstehen können.